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Thermikwolken von Ferne richtig einschätzen und zielgerichtet anfliegen will gelernt sein. Der folgende Artikel stellt grundlegende Regeln und ein sich selbst verbesserndes Erkennungsver- fahren vor, denn: "Das Geheimnis des Segelfliegens liegt darin, das man den Bart nicht sucht, sondern findet."
Nur wer sich Sicherheit im Auffinden von Aufwinden erworben hat, kann ausgedehnte Überlandflüge unter thermischen Bedingungen angehen. Für den Streckenflug ist dieser Teil der meteorologischen Navigation von fundamentaler Bedeutung. Nur der Pilot, der nicht ständig mit der quälenden Frage fliegen muss, ob nach dem aktuellen Aufwind der "Motor" ausfällt, wird genug Reserven für andere wichtige Aufgaben haben, die während eines großen Fluges anstehen. Er hat dann auch ausreichend Gelegenheit für Entspannungsmomente, ohne die man ausge- dehnete Flüge nicht zu meistern in der Lage ist.
Bei der Suche nach Aufwindschläuchen gibt es eine Reihe von Regeln, die an klare Merkmale gebunden sind. Auf Grund der vielfältigen Kombinationsmöglichkeiten der verschiedensten Einflussfaktoren auf die Thermik gibt es aber auch einiges, das nicht direkt greifbar, nicht sofort erkennbar den Weg zum nächsten Bart aufzeigt. Solche Bärte werden von Piloten gefunden, denen nachgesagt wird, sie hätten es im Blut, sie hätten eine Begabung, die andere nicht haben. Sicher- lich mag das zu einem gewissen Teil stimmen, aber wohl zu einem geringeren als allgemein hin angenommen wird.
Ein beachtlicher Teil dieser "Genialität" lässt sich erlernen. Was diese "genialen" Piloten auszeich- net, ist nämlich ein besser geschultes Auge für die Zusammenhänge. Sie können auch das Kleingedruckte im Wetter lesen.
Aber zuerst einmal einige der klaren Regeln, die das Anfliegen des richtigen Cumulus erleichtern:
Beim Kreisen in Richtung Kurs die potenziell interessanten Wolken identifizieren und im Zeitraster des Kreisens beobachten. Auf diese Weise kann man manchmal erkennen, ob sie sich aufbauen oder ob sie im Begriff sind, sich aufzulösen.
Bei der Frage, ob eine Wolke zu weit weg oder erreichbar ist, ist es wichtig, ob man gegen oder mit dem Wind zur Wolke fliegt. Der Unterschied im Höhenverlust kann erheblich sein (siehe unten).
Wolken-Distanzen hängen vom Wind ab. Zeit gewinnt, wer Wolken geschickt abfliegt (Bild 3) und sicher die Steigzentren erkennt (Bild 2).
Je größer eine Aufwindwolke ausgebildet ist, desto wahrscheinlicher ist, dass sie durch eine gute Quelle gespeist wird und um so langlebiger wird sie sein. Damit nimmt die Wahrscheinlichkeit ab, dass sie gerade dann zusammenbricht, wenn man sie erreicht hat.
Bei größeren Cumuli ist es durchaus möglich, dass sie durch mehrere Bärte gespeist werden. Hier sollte beim Anflug darauf geachtet werden, dass man möglichst viele Aufwind versprechende Stellen unter der Basis anfliegen kann, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, den besten Bart nutzen zu können (Bild 2).
Wenn nicht andere Eindrücke dagegen spre- chen, ist die Aufwind versprechende Seite einer Wolke nicht durch die Sonnenseite gegeben, sondern durch die Windrichtung. Üblicherweise ist die Luvseite einer Wolke die aktive Seite. Nachmittages bei schwachen Winden, wenn die Cumuli am größten sind, ist meiner Erfahrung nach der aktivere Teil der Wolke auf der Westseite zu suchen.
Im allgemeinen ist eine Wolke dort am stärksten, wo sie eine besonders dunkle Stelle in der Unterseite hat oder wo sie eine Delle in ihrer Basis aufweist.
An thermisch brauchbaren Tagen, an denen nicht ständig überall Schauer drohen, sind Stellen einer Quellwolke vielversprechend, die schon vor der eigentlichen Basis auskondensieren. Vermut- lich liegt das an einer Aufwindquelle, die sehr feuchte (und damit leichtere) Luft produziert, die dann etwas früher auskondensiert. Das Phänom zeigt sich sehr schön bei Kraftwerksbärten.
Sicherlich gibt es noch eine Reihe weiterer Regeln. Viele lassen sich - ganz konkret auf bestimmte Wettersituatioen bezogen - durch den Erfahrungsaustausch im Verein erlernen. Hier ist der abendliche Gedankenaustausch wichtig. |
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Es gibt aber auch einen Bereich in der Aufwind- suche, den man nicht mit den oben genannten Faustregeln in den Griff bekommt. Es sind die Kleinigkeiten, die man dem Wetterbild entnehmen muss und es dann ermöglichen, den Bart zielstrebig anzufliegen. Bei ihrer Fehlinterpretation oder wenn man sie gar übersieht, schrammt man am Bart unter dem Cumulus vorbei oder packt ihn erst nach mehreren Zentrierkreisen.
Ich versuche immer, meine Flugschüler für diese Details zu sensibilisieren. Oft verändern sich die Wolken aber so schnell, dass die Erklärungen nur hinterherhinken können. Nachteil dieses Lernens besteht darin, dass immer nur ein Ausschnitt in der Variantenvielfalt des Wetters genutzt wird. Viel weiter bringt da, sich den Blick für die richtigen Wolken selbst zu schärfen, und zwar in einem Verfahren, das regelungstechnische Methoden beachtet, also bei richtiger Anwendung zwangs- läufig zum Erfolg führt. Es funktioniert so:
Man überlege sich genau, welche optischen Eindrücke zu verwenden sind, um einen Flugweg zu wählen. Dabei sollte man erst dann den aktuellen Bart verlassen, wenn man ganz genau eine Linie oder anzufliegenden Punkt identifiziert hat (auch wenn es sich als völlig falsch erweisen sollte). So eine Linie beziehungsweise Punkt sollte auf 200 Meter laterale Abweichung oder noch genauer festgelegt und kurz genug sein, um sich das Wolkenbild exakt merken zu können.
Bild 2; Bild 3
Dann wird der vorgegebene Weg abgeflogen und zugleich wird überprüft, ob die (Wetter-) Tatsachen den Erwartungen entsprechen. Man merkt sich das Aussehen der Stellen, die den Erwartungen entsprachen und der, die sich anders verhielten. Wenn Prognose und Realität auseinanderfallen, muss versucht werden, eine Erklärung dafür zu finden, um beim nächsten Mal nicht wieder den Fehler zu machen. Diese Aufgabe stellt man sich während des Fluges in dem selben Wetter immer wieder, vergleicht stets aufs Neue das Vorgefun- dene mit den Erwartungen. Dieses Vergleichen und Erklären ändert beim nächsten Versuch die Erwartung bezüglich der abzufliegenden Strecke so, dass im Idealfall die folgende Vorhersage mit weniger Fehlern getroffen wird. Tritt keine Verbesserung ein, muss man sich fragen, ob die Erklärung aus dem ersten Versuch gestimmt hat und gegebenenfalls korrigiert werden. Man darf bei dem Ganzen allerdings nicht vergessen, dass eine Vorhersage, die zu hundert Prozent zutrifft, wohl nie möglich sein wird. So gibt es Wolken, die zwar noch gut aussehen, wenn man sie dann aber erreicht schon zu alt sind.
Wer dieses Verfahren anwendet, wird sich einen Blick dafür erarbeiten, welche optischen Merkmale positiv und welche negativ zu bewerten sind. Dabei erhält man gleichzeitig ein Gefühl dafür, in welchem statistischen Rahmen das gefundene optische Merkmal zum Erfolg führt.
Das an einem Flugtag mit einem bestimmten Wetter Erfahrene, wird zu Wissen, das sich an einem ähnlichen Tag anwenden und verfeinern lässt. Schon nach einigen Flugtagen unter gleichen Bedingungen kann man mit dieser Technik einen routinierten Blick für den richtigen Weg erlernen. Dabei ergibt sich ganz von selbst, dass man sich zuerst mit den auffälligen Merkmalen beschäftigt, die, wenn man sie verstanden hat, das Wetterbild in kleinere Bereiche zerteilen, so wie die Hauptstraßen eine Stadt gliedern, von denen der Taxifahrer in die Ortsteile navigiert. Im meteorologischen Bild ergibt sich nach einiger Übung ein Raster von eindeutigen Punkten und Linien, die es für den optimalen Flugweg zu erreichen gilt. Später lassen sich hierin weniger deutliche Punkte und Linien ausmachen, die wieder zu einer der "Hauptstraßen" führen. Der Begabte lernt das schneller, der andere braucht halt etwas länger. Aber erlernen kann es jeder!
Irgendwann kann man nach diesem Verfahren sogar eine Vorhersage wagen, ob man den angeflogenen Bart voraussichtlich eher mit einem Rechts- oder Linkskreis wird nehmen müssen.
Basis für alles ist die genaue Beobachtung der Vorgänge in der Atmosphäre, das permanente Rausschauen. Wird dann noch im sich selbstverbessernden Verfahren gelernt, lässt sich die Thermik mit immer größerer Sicherheit aufspüren.
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