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Sie waren mal begehrt wie Millionäre, die als Chirurgen arbeiten. Doch mit dem Aufkommen der Billiglinien sind die Piloten runtergekommen: Hochverschuldet üben sie einen Job aus, der fader ist als das Sandwich an Bord. Ein Abgesang auf ehemals höhere Wesen.
Gebückt, den Kopf in Augenhöhe seiner Passagiere, wandert er durch den Flugzeuggang. Sein Haar ist grau, sein Lächeln vage, und an seinen Fingern baumeln Picknicksäckchen. Achtlos greifen die Fluggäste zu, schon ganz mit dem Wirtschaftsteil ihrer Zeitung beschäftigt.
Dann holt er die Kühlbox mit den Getränken und schließlich die Thermoskanne mit dem Kaffee. Man sieht ihn von vorn, man sieht ihn von hinten, und so oder so paßt er eher in einen Hochseekutter denn in die Hostessenrolle. José Luis Laria schlüpft ins Cockpit zurück, rückt im Captainsitz zurecht und legt die Gurte an.
Hinter der gesenkten Zeitung verfolgen die Passagiere durch die offene Tür, wie seine Hand nach den Knöpfen am Armaturenbrett greift. Wie sich seine Armmuskeln spannen, wenn er den Hebel drückt und sich die Flugzeugschnauze in den Himmel bohrt. Und wie die beiden Piloten, schon wenige Minuten nach dem Start, fröhlich plaudern und, als wären sie auf einer Landpartie, in die Wolken links und rechts deuten. Der Linienflug von Zürich nach Osnabrück hat kaum mehr was mit Fliegen zu tun; das ist eher ein Fahren in der Luft. Beruhigt wie die Kinder in Papis Auto, lehnen sich die Gäste der European Air Express in ihre Sitze zurück.
Szenenwechsel. "Endlager" nennt der pensionierte Swissair-Captain Richard Schilliger seine luftige Wohnung, die, einem Cockpit gleich, über dem Vierwaldstättersee schwebt. In den Büchergestellen steht jedes wichtige Werk über die Aviatik; Exemplare mit einem roten Punkt auf dem Rücken wurden ihm vom Autor oder der Autorin persönlich gewidmet. Der Astronaut John Glenn gehört ebenso dazu wie der Ballonfahrer Bertrand Piccard.
Sogar eine Hostess hat der Ex-Captain noch immer an Bord: Gattin Betty. Das Foto an der Wand zeigt sie als junge Stewardess vor der Convair ihres Verlobten. Sie lächelt, ganz mädchenhafter Charme vor geballter Kraft, in die Kamera, und ist in jenes unverwüstliche Uniformtuch gekleidet, das die Trägerin selbst in bangsten Minuten als festen Halt erscheinen ließ. Kennen gelernt hatten sie sich auf einem jener Fernost-Einsätze, die damals zehn Tage dauerten und ausgiebige Flirts an glamourösen Hotel-Pools erlaubten. Weniger gern mochten die Piloten die Nordatlantikflüge: Kaum in New York, entschwanden die Hostessen sogleich zum Shopping.
Als Richard Schilliger 1952 Copilot bei der Swissair wurde, besaß die Airline 1800 Mitarbeiter; bei seinem Austritt 1986 waren es 30000. Sicher getragen vom Aufwind, saß der gelernte Militärpilot stets im Cockpit der neusten Maschinen. Am Schluß flog er den Jumbo, "das letzte Flugzeug, das man von Hand bedienen konnte". Wenn Captain Schilliger, stattlich und goldbetresst, im Schwarm seiner Crew - Copilot, Navigator, Bordmechaniker, Hostessen und Stewards - über das Rollfeld zur Maschine schritt, glaubte man, einen Gladiatorentrupp zur Nationalhymne in die Arena einmarschieren zu sehen. Die Zuschauerterrasse verharrte in stummer Bewunderung, und alle Bubenherzen schlugen Sturm.
Der Respekt war gerechtfertigt. Als Supermänner der Luft bewältigten die Piloten damals den Nordatlantik auch mit einem ausgefallenen Triebwerk. Oder landeten von Hand, während Sturmböen über New York fegten. "Dir konnte ich meinen Willen aufzwingen", dachte Richard Schilliger einst befriedigt, als er auf die riesige Masse zurückblickte, die er mit eigener Hand durch den Orkan zu Boden geleitet hatte. Als er im Flughafenbus zwei Passagiere von einer "typisch automatischen Landung" sprechen hörte, mußte er an sich halten, um nicht zu widersprechen.
Vorbei der Zweikampf der Titanen: Heute fällt kein Triebwerk mehr aus und gelandet wird automatisch. Ebenso vorüber die Poesie der Sprache. Captain Schilliger sah seinen Jumbo "wie einen heimweh- kranken Engel" die Hochnebeldecke durchbrechen. Und wenn er, nach der regennassen Finsternis am Boden, geradewegs in die aufgehende Sonne flog, war das "eine Art fliegerischer Orgasmus".
Mittlerweile nennen die Piloten das Fliegen Produzieren. Und statt St-Exupéry lesen sie die Mitteilungen ihrer Gewerkschaft: Wann droht die nächste Entlassungswelle? Und wann das neue Grounding? Es ist nicht mehr die Gewitterwand am Horizont, die sie am meisten fürchten, sondern das eigene Management im Rücken. Unfähige Führungsspitzen bringen ihre Firma zum Absturz; kaltschnäuzige Vollstrecker machen aus den Helden der Lüfte banale Kostenfaktoren. Der Pilot - nicht mehr Stolz und Stütze der Airline, sondern ein Mitarbeiter unter vielen und jederzeit ersetzbar.
"Fliegen kann jeder", sagt Crossair-Gründer Moritz Suter allen, die es hören wollen. Air-Berlin-Chef Joachim Hunold rekrutiert sein Personal "am liebsten aus polnischen Friseusen", weil diese "pünktlich und diszipliniert" sind. Aviatikspezialist Sepp Moser setzt noch eins drauf: "Klar sollen Piloten kühle, schnelle und nicht allzu kreative Denker sein. Im Prinzip müssen sie aber kaum mehr können als ein Baggerführer. Auch ein Bagger benötigt Fingerspitzengefühl." Am wichtigsten bleibt im vollelektronischen Cockpit das zuverlässige Empfangen und Umsetzen von Kommandos. Das macht das Fliegen so monoton, daß in den modernen Langstreckenmaschinen der Pilot alle zwanzig Minuten mit vorgeschriebenen Manipulationen wach gehalten werden muß.
Besonders erbarmungslos kratzen Kollegen am Pilotenlack, die sich mit einer eigenen Fluglinie selbständig gemacht haben. Als Insider wissen sie, wo die wunden Stellen liegen. Nichts als "verwöhnte Herren" sind die Langstreckenflieger, "die im Airbus hin und wieder das Knöpfchen drücken". Schon im zweiten Satz kommen sie auf ihre Pensionskasse zu sprechen; übernachten tun sie nur in Fünfsternehotels und ihre Leistung regulieren sie, "schlimmer als englische Gewerkschafter", mit dem Tropfenzähler. Und nicht selten werden die Machos zu Alkoholikern, wenn das Leben nicht mehr das bietet, was es ihnen eigentlich schuldig ist.
Nichts zeigt den Wandel des Pilotenberufs deutlicher als der Firmensitz der neuen Schweizer Helvetic Airways. "Die Adresse?", rief Chefpilot Bruno Dobler überrascht. Es gibt keine. Am besten im Flughafen Kloten Richtung Fracht marschieren, dann stößt man geradewegs auf die Helvetic-Baracke. Der Weg führt am Swiss-Gebäude vorbei, einem metallen schimmernden Kubus mit leeren Büros, aus dem sich, offensichtlich unter Aufbietung aller Kräfte, ein paar müde Menschen schleppen. Als wäre dieser Anblick noch nicht symbolisch genug, bewegt sich selbst Tinguelys Sisyphus-Skulptur vor dem Portal nicht mehr.
Bereits glaubt man sich verirrt, da erscheint, winzig zwischen den Betonrampen des Frachthofs, die Baracke mit dem violetten Helvetic-Schriftzug. Eine mobile Heizungsanlage bläst, wie im Zirkuszelt, warme Luft ins Innere; öffnet man die Tür, zittert der ganze Bau. In den Büros freilich herrscht mehr Leben als in den Terminals A und B zusammen. Fröhliche junge Menschen greifen zum Telefon und in die Tasten; Chefpilot Bruno Dobler stolpert über den nur notdürftig verleimten Spannteppich, und das Sitzungszimmer, so es denn eines ist, gleicht mit seinen gestapelten Kartonschachteln einem Lager.
"Jööö...", lächelt der Chefpilot schmallippig, als er von der Angst der Swiss-Kollegen vor dem bevorstehenden Stellenabbau erfährt. "Offenbar haben sie dort noch nicht gemerkt, dass nichts mehr ist wie vor dem 11. September." Bei der Helvetic fragt keiner nach der Arbeitszeit; gut möglich, dass die Piloten neun bis zwölf Stunden unterwegs sind. Und keiner ruft nach gewerkschaftlich geregelten Löhnen. Statt wie die Europa-Piloten der Swiss 140000 Franken verdient ein Helvetic-Captain 100000 und ein Copilot 65000 Franken jährlich.
Lächerlichstes Überbleibsel aus heilen Pilotenzeiten ist für Bruno Dobler die Seniority-Liste. Die Nummer, die der Pilot bei seinem Eintritt faßt, garantiert nicht nur die automatische Beförderung vom Copiloten zum Captain, sondern auch eine Pensionierung, für die er selbst keinen Cent bezahlen muß. Getreulich wie an der Supermarktkasse, kommt jeder, der ansteht, an die Reihe. Selbst Entlassungs- wellen muß ein langjähriger Pilot nicht mehr fürchten. Das Dienstalterprinzip sorgt dafür, daß es stets die Jüngsten erwischt. "Damit wird", sagt Bruno Dobler, "erzwungene Treue statt Leistung honoriert."
Die Erosion der Pilotenprivilegien ist allerdings auch bei etablierten Fluggesellschaften in vollem Gange. Statt 450 Stunden wie früher fliegt ein Pilot heute 800 Stunden jährlich. Martin Gutknechts Arbeitstag bei der Swiss beginnt morgens um sechs beim Briefing im Flughafen und endet, nach vier Landungen und vier Starts mit seiner Saab, abends um sechs. Immer häufiger wird der Einsatzplan geändert, oft in letzter Minute. Weder Zahnarzttermine noch Kindergeburtstage können mit Sicherheit eingehalten werden. Nachts bleibt er häufig im Ausland, wenn es für die Firma billiger ist, ihn in Kopenhagen oder Brüssel übernachten zu lassen. "Unser soziales Leben", sagt er, "leidet massiv."
Das wirkt sich auch bei der Partnerwahl aus. Noch vor zehn Jahren waren Piloten so gesucht wie Millionäre. Jede Frau konnte sicher sein, einen gewissermaßen staatlich geprüften Supermann zu heiraten. An der Pilotenschule hatte er sich gegen 3000 Mitbewerber durchgesetzt; seine Karriere garantierte, daß er intelligent und topfit war, gesellschaftlich getrimmt und gestriegelt, weder Neurotiker noch Alkoholiker, weder tollkühn noch zaghaft. Kurz, der ideale Mann, um seine Gene an die Nachkommen zu vererben.
Heute heiratet sie einen Mann mit Arbeitszeiten wie im Gastgewerbe und den Sorgen eines Asylanten: Wie entscheiden die Politiker über seine Zukunft? Schlagen sich Frust und Angst auf seinen Blutdruck nieder, ist er beim nächsten Gesundheitstest weg vom Fenster. Zudem hat er mindestens 150000 Franken Schulden. Denn inzwischen sind es nicht mehr die Airlines, die für die Schulung der Pilotenanwärter aufkommen, sondern die Piloten selbst. Das heißt: Bevor sie an Kinder oder ein Eigenheim denken können, müssen sie das Bankdarlehen abstottern.
Nur im Volk lebt der Mythos Pilot weiter. Die Zürcher Gruppenanalytikerin Sonja Wuhrmann, die sich mit der Emotionalisierung des Swiss-Problems befaßt, weiß auch, warum: "Es beginnt schon beim Einchecken. Brav marschiert der Passagier zum zugewiesenen Gate, brav setzt er sich auf den befohlenen Platz. Und wie der Patient an der Spitalpforte gibt er seine Eigenverantwortung an eine höhere Instanz ab. Weil aber so viel blindes Vertrauen irgendwie gerechtfertigt werden muß, stattet der Passagier die Projektionsfläche Pilot mit lauter heldenhaften Eigenschaften aus." Daß der Herr über Leben und Tod während des Fluges unsichtbar bleibt, verstärkt noch seine Sehnsucht, einen Supermann im Cockpit zu wissen.
Welcher Pilot mag da schon widerstehen. Er glaubt ja selbst ein bisschen an seine Übermenschlichkeit. Vor allem, wenn er im Flughafen oder in der Hotelbar alle Blicke auf den Goldschnüren seiner Uniform ruhen sieht. "Seine Größenfantasien", sagt Sonja Wuhrmann, "werden durch die Splendid Isolation im Cockpit noch verstärkt. Das ist wie bei den Top-Shots in der Industrie oder im früheren Swissair-Management: Je grösser ihre Distanz zum Volk, desto mangelhafter ihr Sinn für Realität und desto heftiger ihre narzißtische Kränkung bei Kritik." Die einstige Swissair-Spitze, abgehoben und abgeschottet, empfand jede kritische Frage als Beleidigung. Die Ex-Swissair-Piloten, noch immer vom Strahlenkranz des Nationalsymbols zehrend, reagieren gereizt auf Zweifel an ihrer Triple-A-Qualität. Schließlich sind sie fast durchwegs Akademiker sowie Armeeoffiziere.
Daß sie, wie die Branche spottet, in Sachen Arroganz die ehemaligen französischen Concorde-Piloten schlagen, dagegen verwahrt sich Airbus-Captain Christian Frauenfelder aufs entschiedenste. "Wer ein Studium und die harte Pilotenselektion schafft und einen starken Verband in seinem Rücken weiß, bekommt das nötige Selbstbewußtsein, um ein Flugzeug zu steuern und sich in Sachen Sicherheit gegen die Willkür des Managements durchzusetzen." Nicht wie der Pilot im Zweitklassflieger, der startet, wenn der Chef über Funk ins Cockpit ruft: "Entweder du fliegst, oder du gehst!"
"Das sind", sagt Christian Frauenfelder, "keine Piloten, das sind Lizenzhalter." Sie werden immer häufiger, seit die strenge Selektion der offiziellen Flugschulen wegfällt. "Heute entscheidet nicht mehr die Qualität des Pilotenanwärters, sondern ob er das Geld für die teure Ausbildung hat." Den Firmen scheint der Unterschied egal. "Es gab und gibt Airlines, die stellen ihre Piloten sogar per Fax ein!" Welche Airline er meint, ist klar: die Crossair.
Es bleibt nicht sein einziger Tritt ans Schienbein seiner Kollegen vom Europanetz. Wie viele Ex-Swissair- Piloten hat er noch nicht verwunden, daß es just die Underdogs, die verachtete kleine, aber erfolgreiche Regionalgesellschaft Crossair, waren, die die bankrotte interkontinentale Swissair retteten. "Das ist", sagt Christian Frauenfelder, "wie wenn der <Rössli>-Wirt aus Glarus die <Hilton>-Kette übernimmt. Oder der Raiffeisen-Bankleiter aus Näfels die UBS." Die Beispiele stammen aus der nächsten Umgebung, denn Christian Frauenfelder hat für eine Dienstwoche seine Swiss-Captain-Uniform mit dem gefleckten Tarnanzug eines Offiziers der schweizerischen Fliegertruppe getauscht und sitzt jetzt im Bahnhofbuffet Mollis.
Seine Bewegungen sind präzise, seine Sprache knapp, und seine ganze Aufmerksamkeit gilt dem Papier auf dem Bistrotischchen, auf dem er zügig drei waagrechte Striche zieht. "Hier oben, weit über dem gesetzlichen Minimum" - sein Kugelschreiber zickzackt im oberen Drittel - "liegen unsere Swiss-Sicherheitsmassnahmen." Sein Kugelschreiber rutscht nach unten. "Und hier, am gesetzlichen Minimum" - sein Zickzack durchbricht die tiefste Linie - "liegen die unseriösen Airlines." So gehörten das Antikollisionsgerät und der Datarecorder, schon lange bevor sie vorgeschrieben waren, zu den Sicherheitsmaßnahmen von Swiss und Lufthansa. Nach jedem Flug wird der Datarecorder von einem Ombudsmann ausgewertet und bei den Checks anonym durchgespielt. Den Kunden sind solche Extra- leistungen indes ebenso wurst wie die "Rauchen ist gefährlich"-Warnung auf der Zigarettenpackung. Sie wählen stets den billigsten Flug, und der ist selten bei Swiss zu haben. Zudem verzeichnen, so die Statistik, die Günstig-Airlines nicht mehr Unfälle als die Etablierten.
Alle, die etwas vom Airline-Business verstehen, schüttelten den Kopf über die Zwangsehe zweier so unterschiedlicher Firmen wie Swissair und Crossair. Nur schon ihre Entstehungsgeschichte: Die Swissair war, wie alle etablierten nationalen Fluggesellschaften, von den Piloten gegründet worden. Erst als ihnen das Geschäftliche über den Kopf wuchs, holten sie sich ein Management. Dieses vergaß nicht, wem es seine Macht verdankte, und revanchierte sich stets mit besonderer Feinfühligkeit. Noch in den achtziger Jahren konnte Richard Schilliger, ohne Rücksprache mit der Führungsspitze, seinen ausländischen Kollegen Gratisflüge an eine Pilotenkonferenz in Athen zusichern. Die Crossair dagegen wurde von Moritz Suter aus dem Boden gestampft, einem Patron, den die Crew wie einen Rockstar verehrte. Die Swissair zog immer Bewerber mit Hochschulabschluss vor; die Crossair verlangte nur eine Berufsausbildung. Die Swissair sprach von Berufung, die Crossair von einem Job. Die Swissair empfand sich als Herrenklub, die Crossair als Familie.
Auch nach zwei Jahren hat sich das Verhältnis zwischen den beiden Crews nicht gebessert, im Gegenteil. Gewisse Swissair-Piloten finden es auf Dienstreisen eine Zumutung, Crossair zu fliegen. Deren Piloten sind für sie eine Art Metzger, die sich nach einer Zusatzausbildung als Chirurgen ausgeben. Nur verständlich deshalb die Schadenfreude der Crossair-Leute, als ein Swissair-Captain im New Yorker Central Park bei unzüchtigen Handlungen erwischt und verhaftet wurde. Zu Recht, wie sich später herausstellte. Doch seine Kollegen bestanden, aufgeregt wie eine Schar Hühner, auf einer sofortigen Medienkonferenz samt Dementierung des Geschehens.
Natürlich leugnet das Swiss-Management ab, die Ex-Crossair-Piloten bei Nachchecks im Simulator absichtlich fertig zu machen. Es kann auch keine Absicht dahinter erkennen, Crossair-Zwischenfälle stets hochzuspielen, Swissair-Pannen dagegen geflissentlich zu übergehen. Auch die Politik ist ganz auf Seiten der schneidigen Herren von der Aeropers, wie die Gewerkschaft der Langstreckenpiloten heißt. Grounding, leere Flugzeuge und nächste Pleite hin oder her: Die großen Flieger eines kleinen Landes mit ihren hochbezahlten Piloten werden auch weiterhin mit ihrem Schweizerkreuz auf den Flugplätzen von Los Angeles und Hongkong, Johannesburg und Rio herumschwänzeln und mit ihrem Anblick die heimwehkranken Herzen der Schweizer erwärmen.
Umso gedrückter die Stimmung bei den Swiss Pilots, der Gewerkschaft der Ex-Crossair-Europa-Piloten. Wie ein Vogelschwarm lassen sich die Piloten mal in dieser Büroecke, mal in der andern nieder und blicken hinaus auf die gefrorenen Äcker des Bassersdorfer Industriequartiers. Sie können nicht verstehen, daß die bevorstehende Entlassungswelle die Hälfte ihrer 440 Piloten wegfegen will. Dass es schon wieder ihre einst so erfolgreiche Crossair ist, die Federn lassen muß. "Wir waren doch das Rettungsboot für die Swissair", sagt Martin Gutknecht. Und: "Unsere Piloten sind doch nur halb so teuer wie die von der früheren Swissair."
Es bleibt ein kleiner Trost, daß die Ex-Crossair- wesentlich besser mit einer Kündigung umgehen als die Ex-Swissair-Piloten. Sie haben kein Ego, das, dank Studium, Offizierskarriere und harter Pilotenselektion ständig gewachsen, sich nach seiner Verstoßung aus dem Olymp im freien Fall befindet. Natürlich gäbe es offene Stellen zuhauf. China sucht 10000 Piloten. Doch welcher Swissair-Pilot will schon Chinesen von einem Kaff zum andern befördern. Geschweige denn im Kongo Frachtmaschinen fliegen, die er womöglich selbst betanken muß. Crossair-Piloten dagegen, schon immer als simple Arbeitnehmer behandelt, sind wendiger und trendiger. Job ist Job. Einer wurde nach der Entlassung Gemeindeschreiber, einer ließ sich zum Rangierlokomotivführer umschulen, ein anderer zum Lastwagenfahrer.
Jetzt ist selbst im Volk der Glamour des Pilotenberufs am Verblassen. Sicherstes Zeichen sind die leeren Zuschauerterrassen auf den Flughäfen. Was soll noch dran sein an einem Verkehrsmittel, das billiger als der Bus geworden ist und sogar die gleiche Klientel befördert? Früher gingen die Passagiere vor dem Flug zum Coiffeur; heute ziehen sie das Schlotterweit-Bequeme an, mit dem sie am Waschtag in den Keller steigen. Die Landung beklatschen sie wie die Pointe im "Musikantenstadl", und beim Aussteigen schlagen sie dem Kommandanten anerkennend auf die Schulter: Gut geflogen, alter Junge... "Geradezu ein Wunder", sagt ein Pilot, "daß wir unterwegs nicht Witze erzählen müssen..."
Das kann indessen noch kommen; die Schmerzgrenze ist bei weitem nicht erreicht. Geübt wie eine Sekretärin, sucht der Pilot bei Verspätungen die Anschlußflüge heraus und garantiert die Transfers. Beflissen wie ein Hotelier, steht er beim Einsteigen neben der Treppe. Bei den Helvetic Airways putzt das Kabinenpersonal den Flieger. Bei der European Air Express spielt der Pilot Hostess. Den deutschen Captain Ulrich Neumann stört das nicht. Im Gegenteil. "Ich seh ja, wie sie erschrecken, wenn sie unsere Fairchild erblicken: O Gott, so klein!" Da serviert er ihnen ganz gern persönlich das Frühstück, um zu beweisen: "Im Cockpit sitzt keiner, den die Polizei sucht." Und auch kein fliegender Hasardeur. "Wir sind Normalos geworden, keine Incredibles mehr."
Nie weiß er, ob es die Firma, für die er fliegt, in sechs Monaten noch gibt: "Kaum haben die Kleinen auf einer Strecke Erfolg, werden sie von den Großen platt gemacht." Sein Gehalt liegt bei 5000 Franken; ein Fünftel davon verschlingt sein Arbeitsweg von Norddeutschland an den Bodensee, wo Frau und Kinder leben. "Aber bei fünf Millionen Arbeitslosen in Deutschland darf man nicht klagen. Da gibt’s immer einen, der es noch billiger macht." Und er hat ja noch Glück. Seine Fluggäste schlummern morgens beim Hinflug, und abends beim Rückflug blättern sie in ihren Akten. "Nicht wie bei den Ferienfliegern, wo die Leute schon acht Bier getrunken haben, wenn sie an Bord kommen." Und nach einer Pause: "Das ist halt wie in der Malerei. Nach der Romantik kommt der Realismus."
Die Entzauberung des Berufs ist so weit fortgeschritten, daß alle Piloten lange überlegen müssen, was noch schön dran ist. Die Wolken- und Sternbilder vielleicht. Oder die absolute Befehlsgewalt an Bord. Christian Frauenfelder deutet in den trüben Glarner Himmel und sagt: "In fünf Minuten bin ich in der Sonne." Bruno Dobler faltet seine Hände auf dem leeren Tisch: "Als Pilot hat man keine Pendenzen." Ulrich Neumann sagt: "Wenn ein Passagier ehrfürchtig an die Tür klopft und fragt: "Darf ich mal kurz stören...?"
Modernen Piloten scheint der rundum geglückte Lebensflug des Captain Richard Schilliger wie eine Gotthelf-Idylle einem EU-Bauern. Selbst die Kurve der Pensionierung nahm der Jumbo-Kommandant in Gentleman-Manier. Er stieg, für die Ferienflüge der Classic Air, wieder in seine alte DC-3. Er unterrichtete Hostessen, besorgte dem Verkehrsmuseum Luzern eine ausrangierte Swissair-Flotte, schreibt Artikel und hält Vorträge. "Früher", faßt er die Entwicklung seines Berufs zusammen, "lebten wir, um zu fliegen. Heute fliegen sie, um zu leben."
Im Cockpit der Fairchild beleben sich die Reihen der zuckenden Lichter. Häufiger greifen die Hände der Piloten zu den Knöpfen, Schaltern und Hebeln. Sorgenvoll blicken die Geschäftsleute in den grauen Morgenhimmel und falten die Zeitung zusammen. "Willkommen in Osnabrück!", sagt Ulrich Neumann fröhlich und stößt die Kabinentür auf. Grußlos wie an einem Taxifahrer drängen seine Passagiere an ihm vorbei. Die Thermosflasche mit dem Kaffee, die er in der hintersten Reihe deponiert hatte, blieb unberührt. Die Fluggäste hatten es unter ihrer Würde gefunden, selbst ihre Tassen zu füllen. Dazu ist schliesslich der Pilot da.
Quelle: www.weltwoche.ch - Margrit Sprecher, Nico Krebs - Ausgabe 07/05
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