Kalkofes letzte Worte
Back to the Nineties (Part I)

Ladies and Gentlemen, liebe Frauen, stolz erkläre ich ihn für eröffnet, den coolsten Trend des ausgehenden Jahrtausends: das Revival der Neunziger! Schweinekultig und hip wie Nachbars Lumpi! Warum immer erst lange warten, bis eine Dekade abgenibbelt und von den Überlebenden mental halbwegs verarbeitet ist, bevor man sie reanimiert? Wieso beginnt man die Wiederentdeckung der Vergangenheit nicht einfach, wenn diese noch die Gegenwart ist? Das ist doch viel einfacher! Simpel und dennoch wirkungsvoll: Im Jetzt leben, aber so tun, als hätte man es schon längst hinter sich! So läßt sich vieles leichter ertragen. Stets im Bewußtsein, daß sich in zehn bis zwanzig Jahren sowieso jeder darüber kaputtlacht.

Nehmen wir nur das Tamagotchi, dieses doofe unselbstädige Computer-Krakelküken, das andauernd aus den Latschen kippte, wenn man es nicht rund um die Uhr verhätschelte wie eine alternde Operndiva. Eine der blödesten Erfindungen der Geschichte und zugleich die späte Rache Japans an der westlichen Welt: Millionen ehemals denkender Menschen vernachlässigten Schule, Beruf, Beziehungen und jegliche Form vernunftbegabten Denkens und Handelns zugunsten eines häßlich dahingekrickelten Suppenhuhns in einem batteriebetriebenen Überraschungsei! Die dabei vergeudete Zeit hat die Entwicklung der Zivilisation um mindestens zwei Jahre zurückgeworfen. Inzwischen zu Recht vergessen und so gut wie ausgerottet, findet das animierte Chicken-McNugget heute nur noch Anwendung in der Psychoanalyse oder als Beschäftigungstherapie für unterbeschäftige ARD-Redakteure, in ein paar Jahren jedoch wird es wieder trashig und kultig sein. Mit der richtigen Einstellung geht das aber auch schon jetzt - und heute bezahlt man noch keine Sammlerpreise!

Oder Tattoos, ein typischer Modeschnickschnack der Neunziger - in den 70ern gab es als Körperschmuck nur das gegenseitige Bemalen mit Fingerfarben im Gruppensexzentrum. Tätowierungen fand man höchstens noch in Form von kiffenden Totenschädeln unter der feuchten Achsel eines verfilzten Möchtegern-Rockers mit Mofa-Führerschein oder als fauchende Drachenköppe, die Feuer von der einen zur anderen Fernfahrer-Arschbacke spiehen. Heute verziert ein Schmetterling jeden zweiten Model-Hintern, und so manche schöne Frauenfessel wird duch ein eingraviertes Blumenband umgarnt.

Spätestens in zehn Jahren und zwanzig Kilos, wenn die Kinder rufen: "Mama, Du hast ja ’ne Gürtelrose an der Mauke", wird allerdings auch hier verschämt die dicke Socke drübergestreift. Außer natürlich, man läßt sich gleich den ganzen Body mit Brandzeichen vollschmieren, um sich selbst als Hommage an die Trends der Gegenwart zu präsentieren. Dann sieht man zwar aus wie ein lebendes Löschblatt, kann aber nicht als stillos gescholten werden. Nur eine von vielen Ideen, die Neunziger zu feiern! (Fortsetzung folgt!)

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